Im stillen Kämmerlein
Als ich mein Erstling das erste Mal jemand Fremdem zum Lesen gab, war meine Aufregung groß. Wie würde meine Geschichte ankommen? Würde mein Leser verstehen, was ich aussagen wollte? Ich war unsicher und hätte mein Werk am liebsten für mich behalten. Denn: Wo kein Leser, da kein Kritiker. Aber ich wollte meine Geschichte ja in die weite Welt hinausschicken und spätestens dann würde sie jemand lesen und bewerten. Warum also dann nicht lieber jetzt von einem Menschen, der mich kennt und hoffentlich gnädig über Fehler hinwegsieht?
Gute Kritiken – schlechte Kritiker
Heute habe ich Rückgrat und genug Erfahrung, um weitestgehend auf Gnade verzichten zu können. Ich habe gelernt, gute/schlechte Kritik und eigene Meinung zu meinen Werken auseinanderhalten. Aus allen Dreien kann man lernen – wenn man es denn möchte. Aber einfach war mein Lernprozess freilich nicht und manchmal tat es auch weh, Beurteilungen – egal ob von Lektoren oder von Lesern – anzunehmen. Damals kam meine erste Beurteilung meines Debüts von meinem Mann. Sie war ehrlich, direkt und schonungslos. So eine hilfreiche Beurteilung ist an sich unbezahlbar, aber damals konnte ich damit nicht umgehen und hatte hart damit zu kämpfen. Bis ich begriff, dass nicht ich kritisiert wurde, sondern das, was ich geschrieben hatte. Nicht ich war der Fehler, sondern die Plotlöcher, die falsch gewählten Begriffe/Worte oder das Setting. Das alles war in meinem Schreibwahn zwar in meinem Kopf perfekt gewesen, stand jedoch hinterher nicht ebenso perfekt auf dem Papier. Als ich das begriffen hatte, setze ich mich an die Überarbeitung und korrigierte die entsprechend angemerkten Stellen im Manuskript. Es folgten noch viele Wochen mit vielen weiteren Überarbeitungsgängen und dazu noch ein professionelles Lektorat, ehe Seraphim: Carpe Noctem endlich veröffentlichungsreif war.
Alpha … Beta – Testleser?
Nach acht Jahren Schreibtätigkeit und mit vielen Veröffentlichungen habe ich heute einen entspannteren Umgang mit Testlesern als zu Anfang meiner Karriere. Bei meinem neusten Werk Danklander-Dunkles Verlagen habe ich in einem sehr frühen Stadium die ersten Testleser eingebunden. Ich schickte die frisch geschriebenen Anfangskapitel an einen kleinen Kreis von Leserinnen und bat sie, mir nach dem Lesen ein paar Fragen zu beantworten. So fragte ich sie zum Beispiel: Wirkt die Protagonistin für dich glaubhaft? Handelt sie logisch oder unglaubwürdig? Kannst du dir das Setting im und ums Schloss herum gut vorstellen oder fehlen dir noch mehr Beschreibungen, Schnörkel oder Zutaten fürs Kopfkino?
Die Antworten, die ich bekam, waren allesamt sehr hilfreich für den weiteren Schreibprozess und auch für die Ausbildung der Charaktere meiner handelnden Personen. Die Kritik, die ich bekommen hatte, war konstruktiv und half mir, mein Kopfkino für die zukünftigen Leser als funktionierende Geschichte im Buch zu bannen.
Nur Mut!
Es kostet Mut, seine Geschichte in einem so frühen Stadium jemand Fremdem zum Lesen zu geben. Und es braucht auch Vertrauen. Ich wollte nicht irgendwem die ersten Zeilen meines noch nicht fertigen Werkes vorlegen, sondern habe ganz bewusst Menschen dazu ausgewählt, die mich als Autorin bereits kennen. Somit kannten die Testleserinnen auch meinen Schreibstil, mein bevorzugtes Genre und meine Macken. Es ist einfacher, wenn du dir Menschen aussuchst, denen du vertraust. Denn dann kann man auch negatives Feedback besser annehmen. Also sei wählerisch bei der Auswahl deiner Testleser und sei dankbar für jeden Hinweis, den man dir gibt. Schließlich haben sich Menschen Zeit für dein Werk genommen. Sie haben sich mit deinen Worten auseinandergesetzt und geben dir wertvolles Feedback, um die Geschichte für die große Lesebühne perfekt zu machen.
Viele Schriftsteller = viele Wege
Es gibt viele Möglichkeiten, seinen Text prüfen zu lassen. Angefangen vom begleitenden Schreiben, bei dem ein Buddy schreibnah absatz- oder kapitelweise mitliest, bis zum einmaligen Lektorat nach dem Schreibprozess. Alles Denkbare ist machbar. Aber nicht alles ist für jeden Schriftsteller passend. Und manchmal hängt es auch vom Schreibprozess ab. Nicht bei allen Büchern hatte ich Testleser. Es gab Geschichten, die schrieben sich wie im Wahn. Mich dabei noch mit den Anmerkungen von Testlesern auseinanderzusetzen, hätte meinen Schreibfluss massiv gestört. Also habe ich die Geschichte fertig geschrieben und zählte am Ende einzig auf das Urteil meiner Lektoren. Auf diese professionelle Unterstützung kann man sich natürlich auch ausschließlich verlassen, doch die Hilfe der Testleser setzt viel früher an und hilft bereits im Vorfeld, Fehler zu vermeiden. Letzten Endes kann dir (und deinem Lektor/deiner Lektorin) eine gute und frühzeitig eingesetzte Testleserschaft sogar Zeit beim nachträglichen Überarbeiten einsparen.
Wie es dir gefällt
Beim Selfpublishing gibt es keinen „richtigen Weg“. Es gibt viele Wege und nur der, der zu dir und deinem Schreiballtag passt, ist für dich der richtige. Ob du im stillen Kämmerlein oder mit einem Alphaleser, der jedes geschriebene Wort sofort zu lesen bekommt, besser zurande kommst, wirst du nur herausfinden, wenn du es ausprobierst. Wenn du unschlüssig bist, wie du an Testleser herantrittst und worauf du beim Testlesen achten solltest, dann hat meine Kollegin Sonja Rüther gleich ein paar Tipps für dich.
Viel Spaß beim Lesen ihres Gastbeitrages!
*Beitrag enthält Buchwerbung*
Testleser: Die letzte Qualitätskontrolle vor der Abgabe – von Sonja Rüther
Keiner meiner Romane geht an einen Verlag, ohne dass er vorher von Menschen meines Vertrauens gelesen und für die finale Überarbeitung kommentiert wurde. Oftmals wundere ich mich, wie blind ich für manche Details sein kann, die dabei deutlich hervorgehoben werden. Oder wie anders etwas wirken kann, wenn jemand nicht in meinem Kopf sitzt, um von meiner festen Vorstellung zu partizipieren.
Aber was machen Testleser überhaupt? Sollen sie sagen, ob der Text gut oder schlecht ist?
Lobhudelei wohlwollender Menschen kann sehr wohltuend sein, aber für die Überarbeitung eines Textes ist so ein Feedback unbrauchbar.
„Das wird sicher ein Bestseller.“
„Alles toll, die Verlage werden dir das Manuskript aus den Händen reißen.“
Ich arbeite seit siebzehn Jahren als Testleserin und Autorin mit anderen eng zusammen und erlaube mir, zu behaupten, dass jene, die ganz allein nahezu perfekte Texte abliefern, eher Einzelfälle sind. Gute AutorenInnen können jederzeit hervorragende Texte abliefern, das steht außer Frage, aber durch das Schleifen und Herumschrauben am Text, wird noch mal das Beste herausgeholt.
Zudem helfen Impulse von anderen, stetig dazuzulernen, sich in seinem Handwerk nicht festzufahren und für knifflige Szenen die eine oder andere bessere Lösung zu finden. Um das zu erreichen, muss das Feedback mehr als ein „Alles super, hab nur ein paar Tippfehler gefunden“ oder „Oh Mann, da steckt noch so viel Arbeit drin“ sein.
Der Dialog mit Testleserinnen und Testlesern vermittelt ein Gefühl für die Wirkung eines Textes, deckt Logik- oder Folgefehler auf (wenn z.B. Tote später noch mal durchs Bild laufen) und hilft beim Aufpolieren. Kritik ist die Beurteilung einer Sache, nicht die akribische Auflistung gefundener Fehler. Das wird oft missverstanden, weil es fast immer negativ klingt, wenn jemand Kritik geäußert hat.
Die Zusammenarbeit soll Spaß machen und effektiv sein. Das setzt Vertrauen, wohlwollende TestleserInnen und Kritikfähigkeit voraus. Wer sich bereiterklärt, eine Geschichte testzulesen, muss sich auf die Ideen, das Genre/Setting und die Handlung einlassen können.
Während der inhaltlichen Überarbeitung kommt es nicht auf Grammatik und Interpunktion an. Man kann zwar darauf hinweisen, wenn etwas auffällt, aber das Augenmerk sollte auf folgenden Punkten liegen:
-
Idee und Umsetzung
Ist die Idee spannend und macht neugierig? Wurden Erwartungen erfüllt, enttäuscht oder übertroffen?
-
Sprache (Schreibstil, Ausdruck, Satzbau …)
Manchmal schleicht sich etwas Umgangssprache in den Text, wo sie nichts zu suchen hat. Oder man versucht ähnliche Satzanfänge zu vermeiden und klingt plötzlich wie Meister Yoda. Ins Auto er sich setzte. Ewig lange Schachtelsätze oder häufige Wortwiederholungen können auch markiert werden.
-
Inhaltliche Umsetzung (Spannungsaufbau, Metaphern, Dialoge…)
Was ist besonders gut? Was muss warum überarbeitet werden? Welche Eindrücke gewinnt man? Welche Vermutungen entstehen dabei, worauf das Buch hinauslaufen wird? Je detaillierter die Testleser auf den Inhalt eingehen, umso mehr kann der Autor damit anfangen. Die Kommentarfunktion der Textbearbeitungsprogramme ist dafür perfekt.
-
Handwerk
Gibt es Bezugsfehler oder mitten im Text Perspektivwechsel? Ist jedes Kapitel zielführend?
-
Gesamteindruck
Der Gesamteindruck ist das Herzstück des Feedbacks. TestleserInnen sollten sich etwas Zeit dafür nehmen und sich bewusst machen, dass sie etwas bewerten, in dem extrem viel Arbeit und meist auch Herzblut steckt.
Ganz wichtig ist es, nicht nur die Fehler zu erwähnen. Viele Testleser sind stolz, wenn sie möglichst viele Fehler gefunden haben, aber darum geht es nicht. Gute Testleser helfen den Autoren und Autorinnen, ein Gefühl dafür zu bekommen, ob der Text genau so wirkt wie er gedacht ist, und ihn zu verbessern. Alle positiven Eindrücke müssen also genauso mitgeteilt werden wie die Verbesserungsvorschläge. Und ein respektvoller, wohlwollender Umgang mit dem Text ist die Grundvoraussetzung für eine konstruktive Zusammenarbeit. Gnadenlose Ehrlichkeit kombiniert mit einer großen Portion Motivation, Lob und hilfreichen Lösungsideen kann wahre Wunder wirken und ein Ausbremsen verhindern.
Es nützt auch nichts, Textschwächen lieber unerwähnt zu lassen, wenn der Roman Verlagen oder Agenturen angeboten oder direkt über eine Selfpublishing-Plattform veröffentlicht werden soll.
Eine ehrliche und mit Feingefühl verfasste Beurteilung ist die beste Grundlage für den letzten Feinschliff. Schreiben ist ein Handwerk, das jeder lernen kann, der ernsthaft schreiben will. Talent und Textgefühl sorgen für feine Unterschiede, aber der einzige Grund, um gerne und viel zu schreiben, ist: Freude am Schreiben!
Und wer es geschafft hat, eine ganze Geschichte fertig zu schreiben, verdient für diese Leistung ohne Zweifel Anerkennung. Viele fangen an, aber nicht jeder bringt es auch zu Ende. Als TestleserIn sollte man wissen, dass die Überarbeitung eines Manuskripts ist mit sehr viel Fleiß und Disziplin verbunden – was nicht zwangsweise mit einer Veröffentlichung belohnt wird. Ich bekomme immer wieder mit, dass Außenstehende den Eindruck haben, es sei spielend leicht, ein Buch zu schreiben. Man müsse sich ja schließlich nur an den Computer setzen und drauflos tippen. So mag das bei jedem mal angefangen haben, aber wenn man Veröffentlichungen anstrebt, steckt so viel mehr dahinter. Ich kann in drei Monaten einen Roman verfassen, der ungefähr 500.000 Zeichen stark ist und Hand und Fuß hat. Lieber habe ich ein halbes Jahr Zeit für ein Werk. In diesem Prozess plottet man (ob nun im Kopf, am Computer oder auf dem Papier), man recherchiert, baut die Welt, erschafft die Figuren, macht sich Gedanken über Wendungen, Höhepunkte und lose Enden, man lässt sich emotional auf die Geschichte ein, schreibt und schreibt und schreibt, wenn man nicht schreibt, denkt man drüber nach, löscht Szenen, schreibt welche neu, ergänzt, baut um, recherchiert wieder, schreibt nochmals um oder baut noch was ein, denkt an die Wünsche der Verlage, die Meinungen der Leserschaft, schreibt und schreibt und so weiter und so weiter. Was ich damit sagen möchte: wenn man nach einem Marathon ins Ziel läuft, möchte man nicht als erstes hören, wo man Zeit verloren hat, ob man effektiver hätte laufen können oder wie jemand anderes diesen Marathon gelaufen wäre. Das allererste, was man hören möchte ist ein: „Wow, Glückwunsch, du hast es geschafft!“ Dann kann der Lauf analysiert werden.
Absolute „NoGos“:
- Sich über etwas lustig machen. Ob nun Tippfehler, falsch verwendete Begriffe oder missverständliche Handlungen, in den Kommentaren sollte kein Tütenclown aufpoppen, der sich über einen Fehler ausschüttelt vor Lachen.
- Den Lehrmeister raushängen lassen. Anmerkungen sollten niemals von oben herab klingen und immer sachlich Bezug auf den Text nehmen und nicht die Person kritisieren.
- Die ganze Geschichte nach eigenen Vorstellungen umbauen. Es geht nicht darum, wie man selbst diese Geschichte erzählen würde, sondern die bestehende Geschichte zu verbessern.
- Nur Stichpunkte ohne Erläuterungen schreiben. Ein „Das geht so nicht“ ist alleinstehend nicht hilfreich. Es sollte immer eine Erklärung dabei stehen und wenn man eine Idee hat, auch gern ein Lösungsvorschlag.
- Vom Bestseller in Spe reden. Ist zwar gut gemeint, kommt aber nicht gut an, weil die Buchmarkt-Realität sehr rau ist.
- Manuskripte ungefragt weitergeben oder anderen die Ideen verraten.
Zusammenfassend kann man sagen:
Sorgfältig ausgewählte Testleser, die sich mit den Anforderungen auseinander gesetzt und ein Händchen dafür haben, sind wie gute Berater auf dem Weg zum bestmöglichen Resultat.
Sie lesen Satz für Satz und teilen im Text über die Kommentarfunktion jeden Gedanken mit, der ihnen hilfreich erscheint. Dabei sind alle Anmerkungen als Vorschläge zu verstehen. Die Autorinnen und Autoren haben immer das letzte Wort!
Zu diesem Thema gibt es noch so viel mehr zu sagen. Wie findet man geeignete TestleserInnen? Was bekommen sie für ihre Unterstützung? Wie kann die Zusammenarbeit konkret aussehen? Was sollte man vorher schriftlich fixieren? Egal welche Fragen ihr zu diesem Thema habt, ihr könnt mich gern per Mail anschreiben oder die Antworten im Ratgeber Testlesen – Handbuch für effektives Feedback nachlesen.
Homepage und Buchbestellung auf www.briefgestoeber.de
Zurück zu MACH DEIN DING und weiteren spannenden Themen.