Am Anfang war das Meer
Meinen Lieblingsplatz stelle ich mir folgendermaßen vor: ein sonniges Plätzchen im warmen, schneeweißen Sand,
das türkisene Meer vor der Nase, Wellenrauschen und das Gezwitscher von Magpies im Ohr und ein strahlend blaues Himmelszelt über mir. Ein fantastischer Schreibplatz, nur leider frei erfunden, denkt ihr? Fantastisch ja, erfunden nein. Denn den Platz gibt es tatsächlich. Auf Whitsuday Island/Australien an der Whitehaven Beach. Lang, lang ist es her, dass ich dort saß und aufs Meer hinausblickte. Doch auch wenn zwischenzeitlich ganze Jahrzehnte vergangen sind, habe ich kein Detail vergessen. Dort, eben auf eben jenem Fleckchen Himmel auf Erden, wurde ich mir meiner Liebe zum Meer zum ersten Mal so richtig bewusst.

Arielle lässt grüßen
Logisch, dass ich damals wie heute gerne Bücher und Filme übers Meer lese/sehe. Zum Beispiel ‚Arielle‘, ‚Atlantis‘ und ‚The Deep Blue‘, oder ‚Der Schwarm‘ (Frank Schätzing), ‚Aquarius‘ (Tom Finn) oder ‚Alea Aquarius‘ (Tanya Stewner), um bloß ein paar Wenige zu nennen. Logisch auch, dass ich die Sommerferien sehr gerne am Meer verbringe. So auch irgendwann vor ein paar Jahren. Da saß ich mit meiner Tochter im Sand, schaute über die Wellen und träumte.
Plötzlich fragte mich meine Tochter: „Sag mal, Mama, gibt es in der Nordsee eigentlich auch
Meerjungfrauen?“

„Klar!“, antwortete ich. „Warum sollte es sie nicht geben?“
Meine Tochter deutete auf das Wasser. „Weil die hier gar nicht richtig sehen können. Weil das Wasser so trübe ist von dem vielen Sand, der aufgewirbelt wird.“
„Ich glaube, das macht denen nichts aus. Die sind das bestimmt gewohnt.“
Meine Tochter nickte. „Ja, aber in Australien wären sie bestimmt glücklicher.“
„Du meinst auf den Whitsundays oder am Great Barrier Reef?“
„Ja. Weil da das Wasser so schön klar ist. Und dort haben sie ja auch die vielen bunten Fische um sich rum. Und die Korallen und Riesen-Schildkröten und giftige Seeschlangen und …“
„ … gemeingefährliche Wasserdrachen und Monster-Muscheln und unterseeische Vulkane und weitverzweigte Höhlensysteme und …“ Ich sah es deutlich vor mir. Das Unterwasserreich der Meerjungfrauen. Ich spürte, wie mich die Idee immer mehr vereinnahmte, gerade so wie eine langsam davonrollende Welle die Muschel vom flachen Strand ins tiefe, unergründliche Wasser zieht.
„Mama!“ Jemand rüttelte mir an der Schulter. „Kriege ich endlich das Eis, das du mir vorhin versprochen hast?“
Kulli-Krampf versus Tasten-Tourette
Kurz darauf und zwei Eis später saß ich mit Kugelschreiber und Block am Strand und tüftelte am ersten Plot für meine AQUARIÍ. Dass die Meerspezies so heißen würde, stand von Anfang an fest. Ich lieh mir die Buntstifte von meiner Tochter und malte in den folgenden Tagen ein Bild, um meine Aquarií zumindest grundlegend zu visualisieren. Natürlich hat sich ihr konkretes Erscheinungsbild im Laufe der Schreibarbeit geändert, aber der Grundstock war gelegt. 2014 war das, wie man anhand meiner Aufzeichnungen im Buch heute noch nachlesen kann.
Meerjungfrau-Gesang und Bachmann-Verse
Recherche ist bekanntlich das A und O beim Schreiben. Ich stieß damals bei Davic C. Kery auf die Vertonung der Bachmann-Verse. Das kleine Musikstück gefiel mir und regte meine Fantasie zusätzlich an. Ich bin ja ohnehin ein Schreiberling, der neben Stift/Tastatur auch Musik (oder Cafegeräusche, Meerrauschen, Weißes Rauschen) zum Schreiben braucht. Ich baute Stück für Stück nicht nur das Grundgerüst meiner Geschichte, sondern auch meine Playlist aus. Basis war dabei eine Scheibe, die mir von einer meiner Australienreise besonders in Erinnerung geblieben war: The Songs of distant Earth von Mike Oldfield. Sie ist, auch heute noch, einer meiner Favoriten. Jeder Ton katapultiert mich in der Zeit zurück, an den frühen Morgen im April des Jahres 1998, an dem ich ein kleines Boot bestieg, um am Ningaloo Reef (an der Westküste Australiens) nach einem Whaleshark Ausschau zu halten. Ich spüre die frische Brise, die einen sonnig-warmen Tag verspricht. Ich rieche das Meer, sehe den braungebrannten Skipper Adam mit Piratentuch und grauem Stoppelbart an Bord stehen und mir entgegen lachen: „D´day, mate! Welcome on board.“
Dreamtime und Oceanlogging
Während meine Gedanken kreisten und ich den Tönen lauschte, schrieb und schrieb und schrieb ich. Kapitel um Kapitel. Und weil mir die Geschichte von meiner Protagonistin Melli nicht ausreichte, erschuf ich zusätzlich die Entstehungsgeschichte der AQUARIÍ. Ich liebe die Dreamtime, die Entstehungsgeschichte der Aborigines, die von Generation zu Generation mündlich weitergegeben wird. Die Dreamtime beschreibt das Entstehen der Welt, der Menschen und der Tiere, wie es sich die Ureinwohner Australiens vorstellen. Etwas Ähnliches musste es auch für meine Spezies geben. Aber die Dreamtime gehört den Aborigines. Ich brauchte etwas Spezielles. Wie immer kam eins kam zum anderen.
Wir unternahmen eine Schifffahrt und stießen dabei auf Grindwale. Die Tiere schliefen gerade und dümpelten an der Wasseroberfläche. Wale schalten zum Schlafen abwechselnd eine Hirnhälfte ab und treiben dann wie ein Stück Treibgut (engl.: „log“) im Wasser. Diesen Zustand nennt man ‚Logging‘. Ich sah sie an und dachte darüber nach, ob Wale auch träumten. Schmunzelte und dachte „Schlafenszeit, Zeit zum Träumen, Dreamtime, sleeping time, ocean, logging …“ und -schwupps- war der Begriff der Entstehungsgeschichte meiner Aquarií gefunden: die ‚Tales of the aboriginal Oceanlogging‘.
Autorin + Meerjungfrau = Diva

Noch mehr Meer
Bald erscheint also ‚AQUARIÍ-Die Schlucht der Erinnerung‘ als erster Band meiner Australien-Fantasy-Trilogie. Und während ich das hier schreibe, arbeite ich bereits am Ende des zweiten Bandes. Wollt ihr wissen, wo ich gerade mit meinem Laptop auf dem Schoß sitze? Was ich höre? Was ich sehe, wenn ich den Blick in die Ferne richte? Dreimal dürft ihr raten …