Schräge Vögel im Anflug auf Cairns
Auf dem Flug von Melbourne nach Cairns habe mir die meiste Zeit eine Schreibpause gegönnt, um die Aussicht zu genießen, wobei es zunächst nichts Aufregendes zu sehen gab. Aber irgendwie … vielleicht ist es die Zeitverschiebung. Ich bin immer noch todmüde, obwohl ich in Melbourne nicht mehr viel gemacht habe (aber immerhin auch nichts weiter „verloren“ habe!). Wir hatten vorhin eine Zwischenlandung in Brisbane. Die hatte ich so gar nicht auf dem Schirm und habe es erst bemerkt, als ich genauer auf meine Unterlagen und den Boardingpass sah. Der Stopover hat aber bloß eine Stunde gedauert und wir durften im Flieger sitzen bleiben. War also gar nicht so schlimm. Es gab auf der Strecke so viel zu sehen. An Canberra und Sydney sind wir leider zu weit abseits geflogen, um etwas zu sehen. Ich hatte mich insgeheim ja darauf gefreut, den Hafen mit dem berühmten „Kleiderhaken“ – die Sydney Harbour Bridge – und die „Schwangere Auster“ – das Sydney Opera House – wenigstens von oben zu sehen, wenn ich schon nicht in die Stadt komme. Muss dann wohl doch noch mal hin. Aber wir sind kurz an der Sunshine Coast vorbeigeschrappt und später an den Whitsunday Islands … Als wir kurz vor Cairns das Great Barrier Reef überflogen haben, war es ganz um mich geschehen. So etwas habe ich noch nie gesehen! Okay, vielleicht auf den Hochglanzbildern, die in Mellis Zimmer, die ich immer Australian Gallery nenne, hängen. Das Riff dann aber in Natura und in seiner Gesamtheit von oben zu sehen, ist etwas völlig anderes. Es beeindruckt mich sehr und macht mich irgendwie … ich weiß auch nicht. Demütig? Die Natur hat in Jahrhunderten oder -tausenden so was Wunderschönes gezaubert … und wir Spacken zerstören es binnen einiger Jahrzehnte. Im Flieger habe ich in der Boardillustrierten ein Artikel über das Korallensterben am Riff gelesen. Nicht wirklich schön, was den Korallen gerade passiert. Und so wie es aussieht, sind wir Menschen nicht ganz unschuldig daran. Erderwärmung, Verklappung von Müll, Bauarbeiten mitten durch die Korallenbänke … das trägt nicht zur Erhaltung des Riffs bei, sondern vielmehr zu seinem Ruin. Und das alles bloß, weil die Einen einen warmen Hintern haben wollen und die anderen Kohle. Tja, was soll ich sagen? Typisch Menschen eben … Ich bin ja auch nicht viel besser. Ich mag gar nicht dran denken, wie mies mein CO2-Fußabdruck nach den vielen Flügen ist. Aber immerhin weiß ich jetzt, warum es sich lohnt, über so etwas zukünftig intensiver nachzudenken.
Ein anderer Hammer während des Fluges war mein Blick ins Cockpit. Die Australier sind da echt „laid back“ und entspannter als andere. Als ich die Stewardess spaßeshalber fragte, ob es möglich sei, mal ins Cockpit schauen zu dürfen, lehnte sie sehr zu meiner Überraschung nicht ab, sondern meinte stattdessen, dass sie die Piloten fragen würde. Ich dachte zuerst: „Okay, das ist eine Ausrede. Es ist für Passagiere bestimmt verboten, dem Cockpit näher als nur ein paar Schritte zu kommen.“ Aber die Stewardess kam zurück und brachte mich tatsächlich nach vorne. Ich war echt baff! Die zwei Piloten (Steven Connor und Brian Collins, oder so ähnlich) waren tiefenentspannt, erklärten mir ganz lässig ein paar ihrer Anzeigen und tranken derweilen gemütlich ihren Kaffee, den ihnen die Stewardess servierte. Ich fand die unzähligen Anzeigen, Knöpfe und Hebel furchtbar unübersichtlich, aber ich bin ja auch kein Pilot und muss den Vogel nicht fliegen. Die haben an der Tür sogar einen kleinen Cartoon von „The Farside“ im Cockpit aufgehängt. Den kannte ich und als ich auf den Witz hinwies und sagte, dass es ein echt guter Witz ist, schauten sich die Zwei an und nickten sich verschwörerisch zu. Bevor ich mich versah, schaltete Steven den Autopiloten ab (ich weiß es, weil er es mir zuvor ankündigte) und zog seinen Joystick zuerst nach rechts und dann nach links. Das Flugzeug neigte sich krass nach rechts und nach links und kam dann wieder in die Horizontale. Die Zwei grinsten sich einen. Mir hingegen fiel die Kinnlade runter und kein passender Kommentar ein. Krass! Echt durchgeknallt, die Aussies! Und dabei super symphatisch. Ich glaub, ich suche mir wirklich einen australischen Surfe-Knackhintern, niste mich in seine Strandhütte ein und bleibe für immer. Australien und die Typen gefallen mir jetzt schon. Wenn sie nicht gerade rote Käppis tragen.
Mensch! Hier sitze ich und schreibe nur über mich. Dabei geht es doch um Melli. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht gleich mit ihr mitgeflogen bin (Habe ich das schon mal geschrieben? Egal), und sie begleitet habe. Dann wäre vielleicht nichts passiert. Zumindest wüsste ich, was los ist. Na ja, es sind nur noch ein paar Minuten, dann landen wir in Cairns. Leider weiß ich nicht, in welchem der vielen Motels oder Backpackern Melli und Juri untergekommen sind. Ich muss einfach auf meinen guten Spürsinn vertrauen. Ich weiß, dass sich Melli eine Liste geschrieben hatte, wo alle Sehenswürdigkeiten notiert waren. Und ein paar Backpackers und Hotels hatte sie sich auch rausgesucht. Ich werde einfach das Telefonbuch von Cairns durchblättern und schauen, ob es bei mir irgendwann klingelt, wenn ich die Namen lese. Vielleicht erinnere ich mich an einen. Und wenn nicht, werde ich eben so lange durch die Stadt laufen, bis ich Melli gefunden habe. Oder ich rufe die Unterkünfte der Reihe nach an und erkundige mich, ob dort ein deutscher KACKarsch mit Tumi-Rollkoffer eingecheckt hat. *LACH* Echt, dieser Idiot! Mit einem hippen Rollkoffer auf eine Australien-Rundreise zu gehen ist ungefähr genauso schräg, wie mit einer 20-Kilo-Hantel tauchen zu gehen. Es hätte mir gleich zu denken geben sollen. Aber zur Not habe ich auch noch ein paar andere Anhaltspunkte. Tamati zum Beispiel. Dieser Seglertyp, mit dem Melli das tolle Foto gemacht hat. Von dem weiß ich, dass er an irgendeiner Pier seinen roten Katamaran liegen hat. So ein knalliges Boot sollte doch einfach zu finden sein. Normalerweise sind die Schiffe immer im klassischen Weiß gehalten. Zeugt von viel Geschmack, wenn ein Typ nicht mit dem Mainstream schwimmt. Tihihi. Bin echt auf den Typen gespannt. Moment. Der trägt doch hoffentlich kein rotes Käppie? Ein rotes Piratentuch würde ich ihm hingegen noch durchgehen lassen.
Warum sich Melli bisher nicht mehr gemeldet hat, bleibt ein Rätsel. Ich habe mich mit dem neuen Handy gleich was geschrieben, aber sie hat sich noch nicht gemuckst. Das macht mich ein bisschen nervös. Will sie vielleicht gar nicht, dass ich komme? Nein, blöder Gedanke! Idiotischer Gedanke! Ksssch, hau ab! Natürlich wird sie sich freuen. Schließlich hat sie mich damals gefragt, ob ich mitkommen möchte. Dass ich ihr jetzt nachreise, wird sie freuen und nicht nerven. Ganz bestimmt.
Gerade kam die Durchsage von der Stewardess, dass wir die Reiseflughöhe verlassen haben und in wenigen Minuten landen werden. Also Tisch einklappen, Sitz gerade stellen … das Übliche. Da unten schimmert es türkis. Uuuuups! Jetzt sind wir in eine weiße Wattewolke reingeflogen und haben einen kurzen Satz nach unten gemacht. Waaaaah! Ich hatte einen Flug gebucht, keine Fahrt in einer Achterbahn. Hilfe! Ich mag das nicht. Oder erlauben sich Steven und Brian da wieder einen Scherz? Hauptsache, die machen keinen Quatsch und glauben, sie müssten mich beeindrucken. Aber wir haben es gleich. Ich sehe schon das Rollfeld. Melli, ich komme!